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Eigentlich war es konsequent und richtig, dieses Buch getrost zu ignorieren, was da im November 2022 auf den Markt kam. Durch die Bemerkung „14€ für 60 Seiten? Das ist eine Frechheit“ von Tobias Huch bin ich wieder schmerzhaft erinnert worden an dieses Heftchen, mit dem Oskar Lafontaine von Titel und Inhalt her nicht weniger unternehmen möchte, als das Kumbaya der westdeutschen Friedensbewegung der letzten fünfzig Jahre auf eine neue Ebene zu heben.
Neu heißt nicht besser. Es heißt nicht mal konsistent. Es ist einfach schlimm.
„Ami, it’s time to go! Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas” ist, ohne den unüberschaubar großen Markt an politischen Sachbüchern zu kennen (geschweige denn kennen zu können), mit Abstand das grauseligste unter allen.
Es ist wirklich so schlecht, dass es schwerfallen wird, sich diesem Heftchen mit dem gebotenen Maß an Mindestneutralität zu nähern.
Besonders schlecht gefallen hat mir neben dem ersten („Kein Nuklearkrieg in Europa!“) und dem zweiten („Wir müssen uns aus der Vormundschaft der USA befreien“) das dritte und letzte Kapitel („Gedanken zum Krieg“).
Lafontaine arbeitet von vorne bis hinten mit einer rasenden Wut, wie man sie tatsächlich in dieser Ausprägung erst am politisch rechten Rand feststellen kann: Feindmarkierung und wüste Beschimpfung des politischen Gegners wechselt sich ab mit Misogynie, mit Mis- und Desinformation. Durchzogen von einem konsequenten Freund-Feind-Schema wird selbst vor antisemitisch zu lesendem Dogwhistling nicht zurückgeschreckt.
Doch von vorne.
Mit einem „lassen Sie mich durch, ich bin Physiker“ spannt Lafontaine erstmal das Feld zwischen ihm als vermeintlich rationalem Diskutanten und den anderen, die politisch einfach so rumwurschteln, weil sie kein Gespür für den Realitätscheck einer Theorie oder These mittels Experimentes hätten. Mit diesem Vulgärpopperismus verortet sich Lafontaine erstens klar als autoritär sowie er zweitens damit offenbart, überhaupt nichts in seinen fast achtzig Lebensjahren verstanden zu haben.1
Die Belesenen glauben ohnehin nicht an die Alleinschuld Russlands. Sie erinnern sich an das Gorbatschow gegebene Versprechen, die NATO nicht nach Osten auszuweiten.
Obwohl sich mit Gorbatschow der vermeintliche Kronzeuge dieser Behauptung ebenso davon distanziert, wie Helmut Kohls damaliger außenpolitische Berater Horst Teltschik spielt indes keine Rolle dafür, dass dieser Mythos weitergetragen und aufrecht erhalten wird.
Gorbatschow leibhaftig im heute journal des ZDF am 08. November 2014:
Dazu sollte man folgendes berücksichtigen: damals existierte die NATO und der Warschauer Pakt. Was sollte man dazu fixieren?
Dass Horst Teltschik dieser Legende ebenso widersprach oder man aus analytischer Sicht heraus einen so welthistorisch relevanten Einfluss der Äußerung eines US-Außenministers Baker (von dem des westdeutschen Außenministers Genscher ganz zu schweigen) in Zweifel ziehen muss, vermag natürlich den belesenen Lafontaine und seine Mitbelesenen nicht zu überzeugen.
Wenn man, wie Lafontaine und die vermuteten Adressaten, Belesenheit für höhere Bildung hält, dann ist es natürlich statthaft, Disput und Diskurs, Abwägen und (aristotelische) Dialektik außen vor zu lassen – also tausende Jahre erarbeitete und geschärfte Kultur- und Geistestechniken samt den mühsam zusammengestellten Werkzeugkästchen aus Heuristik(en), Hermeneutik(en), Logiken und Rasierklingen.
Um eines der wirksamsten Instrumente in der Arbeit mit alternativer Geschichtserzählung einmal anzubringen, nehmen wir das Hitchen‘s Razor: was ohne Beleg behauptet werden kann, kann auch ohne Beleg widersprochen werden.
Behauptung: Langsam, aber sicher kippt die Stimmung in der Bundesrepublik.
Entgegnung: Nein. It’s so easy.
Um diesen kleinen Exkurs und Einstieg abzuschließen vielleicht in Worten, die „der Physiker“ Lafontaine verstehen würde: Was er hier „argumentativ“ unternimmt, entspräche der Praxis, bei seinen Experimenten alle nicht mit seiner These übereinstimmenden Messdaten als „Hintergrundrauschen“, „Artefakt“ oder „statistischen Ausreißer“ herauszurechnen und das verbliebene Ergebnis als redliche Wissenschaft zu verkaufen.
(Verziehen sei ihm, dass der herbeizitierte Nicolo Machiavelli eigentlich ein Niccolò war – das dürfte dem Verlag eigentlich nicht passieren, obendrein man Niccolò zwar für einen berechnenden Zyniker oder Realpoltiker halten kann, aber Gorilla dann doch zu weit geht)
Weiter geht ein wilder Bummel durch den gesamten Gemischtwarenladen alternativer Fakten und Geschichten: Von dem perfiden Plan, in Osteuropa Atomraketen zu stationieren (was nie passierte und – bisher – auch nie geplant war), vom „Putsch“ auf dem Maidan (gähn), von der Vasallenschaft Deutschlands (welches 2003 nicht in den Irak ging und sich 2011 im UNSC bei Syrien enthielt) hin zur fortschreitenden Militarisierung und „Besatzung“ durch die USA (die von 1990 bis heute ihre Truppenanzahl in Deutschland von 300.000 auf 60.000 reduzierte).
Konzentrieren wir uns auf drei leitende talking points, die das ganze Heftchen von vorne bis hinten durchziehen (alle folgenden Bezüge gehen zur e-Book-Fassung).
1. Ad Hominem/Menschenfeindlichkeit als Argument
Und hier ist wirklich ad hominem und nicht Spitzfindigkeit oder dergleichen gemeint. Lafontaine unternimmt durchgängig systematische Abwertung von Einzelpersonen und Gruppen.
- So seien Journalisten, die sich mit der These der russischen Tatherrschaft bei den Explosionen an den Nord Stream Leitungen um den 26. September 2022 beschäftigen, „Völlig verblödet“ (S. 14).
- Die Grünen machen seit Jahren „diese Lügen-Propaganda“ mit, dass angeblich über Kriegsverbrechen der USA geschwiegen würde, während man Russland anprangere (S. 15);
- Letzteres zeige sich daran, dass die Grünen mehrfach die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright eingeladen hätten (ebd.), die sich tatsächlich schwere Schuld aufgeladen hat mit den fortgesetzten Sanktionen gegen den Irak infolge des Ersten Golfkriegs – was Lafontaine geradezu ermutigt haben müsste, Albright als „Kindsmörderin“ (S. 16) zu bezeichnen. Dass Albright im Jahr 1937 als jüdisches Kind in Prag in die Familie Körbel geboren wurde und von diesen Wurzeln wie auch von ihren drei in der Shoah ermordeten Großeltern erst in den 1990ern erfahren hat, dürfte dem „belesenen“ Lafontaine wohl nicht entgangen sein. (Aber eine jüdische Frau als „Kindsmörderin“ zu bezeichnen wäre im Land der Täter natürlich entweder kein Skandal oder gar nicht so gemeint und sowieso total perfide, jemandem sowas zu unterstellen.)
- Wirklich skandalös für Lafontaine ist hingegen, wenn Bundesaußenministerin Baerbock im Hinblick auf die Sanktionen sagte, man wolle damit „Russland ruinieren“, denn das „ist die Sprache des Faschismus!“2 (S. 16). Wer erinnert sich nicht an den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Polen durch das flächendeckende Bigos-Embargo?
- „Frau Baerbock und die übrigen US-Befehlsempfänger in Berlin“ (S. 20) sind einfach zu blöd zu verstehen, dass z.B. Russland keine Truppen an der kanadischen Grenze stehen hat. Dass Russland dafür tatsächlich Truppen in den USA stehen haben müsste (u.a. Quelle: earth.google.com ) ist so witzig. Dass Russland jedoch Truppen an der Grenze zu Kanada schwimmen hat, ist seit mehr als zehn Jahren ein bekanntes sicherheitspolitisches Problem, zu dem sich die Briten als auch das North American Aerospace Defense Command (NORAD) hinlänglich und eindeutig positioniert haben, welches seit kurzem auch als gemeinsames Problem Kanadas und Norwegens begriffen wird (siehe hier, hier, dort). Dass damit jegliche Zusammenarbeit im Rahmen der zivilen internationalen Ordnung (Arctic Council) seit Jahren gestört und seit 2022 weitestgehend unterbrochen wird – einen Oskar tut das nicht tangieren.
- „Entweder hat Frau Strack-Zimmermann einen ähnlichen Intelligenzquotienten wie Frau Baerbock oder sie weiß genau, was sie für einen Unsinn redet, und sagt alles, was ihre Ansprechpartner in der Rüstungsindustrie ihr vorbeten“ (S. 21). Unabhängig davon, wie „belesen“ man sein muss, um den Vorbeter für den mächtigsten Kerl in der Gemeinde zu halten: Dieser Satz steht in seiner Frauenfeindlichkeit schlicht und ergreifend für sich.
- „In ihrem [Strack-Zimmermanns, d.V.] Wahlkreis, Düsseldorf I, ist zufällig auch der Sitz von Rheinmetall“ (ebd.). Kurz gecheckt. Stimmt. Was aber auch in selbigem Wahlkreis liegt ist z.B. der „Indoorspielplatz Bobbolino“, der Dönerimbiß „Alanya“ (4.6 von 5.0 Zufriedenheit!) und der „Verein für Deutsche Schäferhunde e.V.“.
- „Ursula von der Leyen, eine Spitzenpolitikerin aus Deutschland von der Qualität Annalena Baerbocks“ (S. 24). Beides Frauen, beides Mütter, beide aus Niedersachsen. Oskar ist da einem großen Ding auf der Spur.
2. „Aber die Ostpolitik / Männer“
Wie wir kursorisch festgestellt haben, sind für den Belesenen Frauen nicht nur das schwache, sondern auch das böse, boshafte und daher trotz allem gewalttätige Geschlecht. Männer hingegen, die sind diplomatisch, einfühlsam und wollen Frieden.
- „Einen Politiker wie Willy Brandt vermissen wir heute“ (S. 20). Wir ja. Er nicht. Vielleicht den herbeiphantasierten, der angeblich noch immer zurückgeschreckt wäre, hätte es den undenkbaren Ernstfall während seiner Amtszeit gegeben. Aber nicht den historischen, eher den Fakten entsprechenden Brandt, der bei Amtsbeginn 3,4% und bei Amtsende 3,3% des BIP für die Bundeswehr aufwandte; der mit Schmidt (bis 1972) den geistigen und praktischen Vater der Bundeswehr im Inneren und mit Leber (ab 1972) den großen Modernisierer der Bundeswehr (Aufstellung Bundeswehrhochschulen Hamburg und München, Vergrößerung des Heeres, Öffnung der Bundeswehr für Frauen) zu Bundesministern der Verteidigung machte.
- „Aber die missratenen Urenkel Willy Brandts reden neuerdings lieber darüber, dass Deutschland eine Führungsmacht sei“ (S. 22). Unabhängig davon, ob die Enkelkinder des Historikers Prof. Dr. Peter Brandt oder des Schauspielers Matthias Brandt tatsächlich missraten sind oder werden – die Zeiten, in denen die Bundesrepublik überall gute Geschäfte machen konnte, ohne sich für die Folgen dieser Geschäfte gerade zu machen, sollten wohl erkenntlich und endlich (ja) vorüber sein.
- „Die Entspannungspolitik wurde aufgegeben und durch eine Politik der Konfrontation ersetzt“ (S. 8). Weder wurde das eine aufgegeben, noch trat das andere an dessen Stelle. Wie konfrontativ die Lage war, zeigte sich in der beidseitigen Bereitschaft von NATO und Sowjetunion, im schlimmsten annehmbaren Ernstfall Thüringen und Hessen aus taktischen Gründen in einen nuklearen Ground Zero zu überführen. Was ersetzt wurde, war das Verständnis des Begriffs „Wandel“ in „Wandel durch Handel“. Was in den 1970ern u.a. durch UN-Beitritt beider Deutschland, Grundlagen- und Deutschlandvertrag sowie durch die KSZE-Schlussakte zu einem Wandel im gesellschaftspolitischen Klima des „Ostblocks“ führen sollte, ist bis vor kurzem einem Rollentausch gewichen: Wenn wir das gute Geschäft mit den billigen Rohstoffen wollen, dann haben wir uns zu wandeln.
- „dem Beispiel Charles de Gaulles folgend“ (S. 16), sollten wir die Amerikaner vom Hof jagen; was er niemals tat. Umgekehrt jagte er sich selbst vom Hof mit dem Austritt Frankreichs aus den militärischen Strukturen der NATO.
- „Klaus von Dohnanyi, der ehemalige erste3 [!] Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, hat ein sehr gutes Buch geschrieben“ (S. 18). Nein (s.o., Hitchen’s Razor).
- Zur Stationierung der Pershing-II erinnert sich Lafontaine an sich selbst sagend während jener Zeit: „Der Breschnew – das war der damalige Generalsekretär der kommunistischen Partei in der UdSSR – ist noch nicht mal vom Klo runter, da ist die Rakete bereits im Kreml eingeschlagen“ (S. 18f.). Er verwechselt da was. Auf dem Klo eingeschlafen meinte er wohl.
- „Der letzte sowjetische Generalsekretär [i.e. Gorbatschow, d.V.] liebte die Menschen, er wollte keinen Krieg, er wollte keine Auseinandersetzung, er träumte vom europäischen Haus“ (S. 21). Fürwahr, Gorbatschow liebte die Menschen, seine Liebe war so erdrückend, dass er zu ihrem Beweis beispielsweise in Vilnius am 13. Januar 1991 sowjetische Liebespanzer über der Liebe sehnsüchtige litauische Sowjetmenschen rollen ließ.
Was mag man(n) da abschließend zu sagen? Nur so viel:
3. Böse Männer, MAGA, NATO und „die Nazis sind alle anderen“-Narrative
Wenn jemand vor dem November 2022 gesagt hätte, Lafontaine und weltanschaulicher Anhang wären von allen guten Geistern verlassen und in ihren Äußerungen und dem Verbreiten von Verschwörungserzählungen nicht mehr weit vom rechtesten Rand der sog. Westlichen Staatengemeinschaft entfernt, der wäre ein Hetzer, Lügner gescholten worden.
Bittesehr, Oskar. The stage is yours:
- “Lloyd Austin, der US-Kriegsminister […] Ich sage bewusst nicht Verteidigungsminister, denn einen amerikanischen Verteidigungsminister gibt es nicht. Die USA werden schließlich von keinem Staat angegriffen“ (S. 10). Es gibt in Russland auch keine Kinderrechte, aber trotzdem eine Kinderrechtsbeauftragte, Maria Lwowa-Belowa. Das ist die Dame, die verschleppte Kinder aus Mariupol wie in einem Menschenzoo vor einem Millionenpublikum als „Heim-ins-Reich“-Gebrachte vorführt und missbraucht. The Hague is calling.
- „Selenskyj wurde von einem Oligarchen ins Amt gebracht und sein Name taucht in den Panama Papers auf“ (S. 24). Nun. Ins Amt gebracht haben ihn die ukrainischen Wählerinnen und Wähler mit wirklich beachtlichen 73% im zweiten Wahlgang gegen Petro Poroshenko. Dass die Ukraine ein Problem mit Korruption und Oligarchen hat, wurde nie bestritten. Und das ist jetzt ein Argument für oder gegen was?
- „Und der nette Herr Biden ist über seinen Sohn Hunter in die krummen Geschäfte der ukrainischen Oligarchie verwickelt“ (S. 24f.). Ob die Lieblingspizzeria von Lafontaine eigentlich einen Keller hat?
- „Faschisten, die den Nazikollaborateur Bandera verehren“ (ebd.). Bandera, den es ohne die deutsche Besatzung in Polen nicht gäbe. Weshalb Deutschland historische Verantwortung auch für die Ukraine hat. Wofür diese aber existieren muss, yada yada yada.
- „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass deutsche Truppen wieder an der russischen Grenze stehen“ (S. 27). Dass der Belesene immer noch versucht, die 1.200-Mann umfassende EFP-Battlegroup der NATO in Litauen unter deutschem Kommando zu einer US-imperialistischen Invasionsarmee aufzublasen, macht wiederum Spaß sich anzuhören.
- „Wir sind so sehr in einem Orwellschen Käfig gefangen, wo die Wahrheit zur Lüge wird und die Lüge zur Wahrheit, dass wir vieles gar nicht mehr sehen“ (S. 15). Erstens ist die Benutzung Orwells gegen funktionierende demokratische Staaten und Institutionen Teil des Instrumentariums der neuen internationalistischen Rechten und zweitens: Oskar, beachte, der Orwellsche Käfig schirmt bei Gewitter nicht ab!
- „[Johnson] veranlasste den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, dieses Abkommen [die sog. „Friedenslösung“, d.V.] nicht zu unterzeichnen“ (S. 28). Dass dieses Märchen mittlerweile als ein solches erkannt und benannt ist, ist so klar wie es von Lafontaine und anderen aufrechterhalten wird. Interessanterweise ist dies der einzige Punkt, an dem er überhaupt auf das Vereinigte Königreich eingeht. Dazu gleich mehr.
Was bleibt ist einerseits Ekel. Andererseits Mitleid. Aber der Ekel überwiegt dann doch. Anhand einiger Beispiele sollte klar geworden sein, welch Geistes Kind ein Oskar Lafontaine geworden ist oder immer schon war.
Schließen wir ab mit zwei Thesen:
1. Die Feindbestimmung (und so deutlich muss man das auch benennen) ist eindeutig:
Sie ist vorwiegend parteipolitisch grün (bzw. liberal-progressiv), in überwältigender Mehrheit weiblich, westlich. Und damit deckt sie sich wie von Zauberhand fast mit derselben Feindbestimmung, die der Kreml seit der erneuten und verewigten Machtübernahme Putins im Präsidentenamt seit 2012 systematisch aufgebaut hat und gegen die der Kreml mutmaßlich einen gescheiterten New Yorker Immobilienunternehmer namens Donald Trump protegiert hat: demokratisch, weiblich, westlich. Hillary Rodham Clinton.
Was dem Kreml Hillary Clinton, ist dem deutschen rechten Rand von radikal rechten Parteien, Medien, Aktivisten bis hin zu – ja – Oskar Lafontaine: Annalena Baerbock.
2. Die Vorstellung einer europäischen Ordnung ist expliziert
Diese beinhaltet ein starkes deutsch-französisches Bündnis in Fragen der europäischen Sicherheitspolitik unter Ausschluss (bzw.: Herauswurf) der USA. Dies beinhaltet darüber hinaus die Isolation des Vereinigten Königreichs. Mit dem Brexit und der fortschreitenden politischen Autophagie in Westminster und 10 Downing Street geht das seinen Gang.
Voilà. Ohne Lafontaine zu unterstellen, er würde es kennen oder hätte es gar gelesen (dabei ist er doch so belesen): das ist mit leichten Abstrichen in der Konkretion die Phantasterei über eine eurasische Wirtschaftsordnung von Wladiwostok bis Lissabon, wie sie der radikal rechte selbst ernannte Politphilosoph und Lieblingswirrkopf Vladimir Putins ersonnen hat. Sein Name: Alexander Dugin („Grundlagen der Geopolitik“).
Zum Schluss noch einige persönliche Worte. Die Lektüre dieses Buches hat Schmerzen bereitet. Auch wenn seine überschaubare Seitenzahl ein rasches Ende versprach, jede Minute tat körperlich weh. Nicht weil die Gedanken in ihrer Absurdität neu waren. Es ist eher so, als lausche man einer wirren Stammtischrede, die irgendwo und überall in der Republik zwischen drittem Bier und Mob vor einer Geflüchtetenunterkunft gehalten werden könnte. So gefährlich diese Reden und Parolen und die damit verbundenen impliziten Handlungsräume sind: Nicht lesen. Außer ihr macht das beruflich, oder was mit Medien, oder seid Historiker oder sonst zu bemitleidende Mitmenschen.
Nehmt die 14€ lieber in die Hand und gönnt euch ein Fischbrötchen und ein Bier am Wasser. Oder einen großen Kaffee beim Bäcker. So wie ich es tat danach. Um mich seelisch zu reinigen.
„14€ für 60 Seiten? Das ist eine Frechheit“ – Lieber Tobias Huch: Wenn du wüsstest.
Oskar Lafontaine, “Ami, it's time to go: Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas”, Frankfurt a.M., 2022, 64 S., 14,00€.
Was er so, der Fairness halber, nicht sagt. Aber hingegen betont, dass er als Physiker gelernt habe, Theorien durch Experimente auf ihre Güte zu überprüfen - eine “Fähigkeit”, die er “den anderen" grds. abspricht.
Dazu u.a.: Umberto Eco, “Urfaschismus”, Die ZEIT 28/1995 vom 7. Juli 1995, https://www.zeit.de/1995/28/Urfaschismus sowie: Victor Klemperer, “LTI - Notizbuch eines Philologen”, 22. Aufl., Leipzig 2007.
Es ist nicht der erste (chronologisch), sondern der Erste Bürgermeister (protokollarisch).